Was verbindet den Quartierverein in Lugano, das partizipative Gärtnern in Attalens und die Zwischennutzung in Wetzikon? Sie gehören alle zum Netzwerk der sogenannten «Caring Communities». Sie engagieren sich für die Betreuung von Mitmenschen, das Zusammenleben im Quartier, sie erschaffen Begegnungsorte und verbinden Generationen.
Caring Communities – oder im Deutschen «sorgende Gemeinschaften» genannt – vereinen Menschen, die sich gegenseitig im Alltag unterstützen. Eine sorgende Gemeinschaft kann im Kleinen zwischen der Nachbarschaft eines Mehrfamilienhauses oder im Grossen unter Einbezug eines ganzen Dorfes oder eines Stadtteils entstehen. Beispiele für sorgende Gemeinschaften sind Zwischennutzungsinitiativen, Quartier-Treffpunkte, Gemeinschaftsgärten, Alterswohngemeinschaften oder Netzwerke von engagierten Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen. Damit übernehmen sie vielfältige Aufgaben in den Gemeinden und leisten einen wichtigen Beitrag für das Zusammenleben in der Gesellschaft. Die Gestaltung ist je nach lokalen und regionalen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen unterschiedlich. Das schweizweite Netzwerk «Caring Commmunities» definiert diese als «eine Gemeinschaft in einem Quartier, einer Gemeinde oder einer Region, in der Menschen füreinander sorgen und sich gegenseitig unterstützen. Jede und jeder nimmt und gibt etwas, gemeinsam übernimmt man Verantwortung für soziale Aufgaben».1
Verbund, Bewegung oder Living Community?
Caring Communities oder sorgende Gemeinschaften sind eine Art Leitidee. Die lokal engagierten Personen und involvierten Organisationen bestimmen gemeinsam, worum es konkret geht und welche Umsetzungen vor Ort getätigt werden. So können Caring Communities je nach Kontext als eine gelebte Gemeinschaft, eine Bewegung, eine Selbsthilfegruppe oder eine Art «Pilzgeflecht» definiert werden. Sinnbildlich dafür steht das Modell des «Carefanten», in welchem das Netzwerk «Caring Communities» die unterschiedlichen Umschreibungen von sorgenden Gemeinschaften zusammenfasst. Ein umfangreicheres Modell für Caring Communities hat Peter Zängl mit dem 7E-Modell entwickelt, welches drei Ebenen enthält – eine soziale, eine kulturelle und eine funktionale Ebene. Damit grenzen sie sich gegenüber anderen Konzepten wie Vereinen oder Ehrenämtern ab.1,2
Gemeinsame Werte und Verantwortung
Im Vordergrund einer Caring Community stehen immer die gemeinsamen Werte und die Beziehungen, welche durch das «Sich um andere kümmern» (auch: Care-Arbeit) entstehen. Dadurch bildet sich eine Verbundenheit und eine Gemeinschaft. Ziel ist es, Personen und Organisationen für ihre Themen zu sensibilisieren und zur aktiven Mitwirkung zu motivieren. Denn im Idealfall besteht die Gemeinschaft aus möglichst vielfältigen und unterschiedlichen Personen und enthält damit auch vielfältige Sichtweisen und unterschiedliche Kompetenzen der Beteiligten. Die Vielfalt, die Offenheit und die Partizipation aller Beteiligten stehen im Vordergrund. Dies beinhaltet auch einen niederschwelligen Zugang, gerade auch für Menschen am Rande der Gesellschaft. Eine Caring Community kann sich von unten aus einer Gruppe von Engagierten bilden, die sich auf ein Ziel und ein Vorgehen geeinigt haben. Sie kann allerdings auch von oben angestossen werden, zum Beispiel von einer politischen Gemeinde. Je nach Form der Gemeinschaft engagieren sich neben Privatpersonen häufig auch Personen aus Fachorganisationen oder aus der Verwaltung und Politik.3,4
Sorgende Gemeinschaften in der Praxis
Eine Übersicht und interessante Einblicke in die bestehenden Caring Communities bieten die Karte des Netzwerks «Caring Communities» und deren Infobroschüre. Nachfolgend drei konkrete Einblicke in sorgende Gemeinschaften aus verschiedenen Regionen.1,5
Beispiel 1: Stadtgarten «Färberwiese» in Wetzikon
Der Stadtgarten Färberwiese ist ein Zwischennutzungsprojekt mitten im stark verdichteten Quartier. Dort hat die Community auf einer Hektare einen Treffpunkt mit Gemeinschaftsgarten, Spielplatz und Grillstelle für die Quartierbevölkerung eingerichtet. Das gemeinsame Interesse am Gärtnern verbindet die Menschen. Auf dem Spiel- und Sitzplatz treffen sich Jung und Alt aus dem weiteren Umfeld des Quartiers. Sie tragen gemeinsam Sorge zur Färberwiese und unterstützen sich gegenseitig.
Beispiel 2: Quartierverein «Associazione Amélie» in Lugano
Der Verein Associazione Amélie will das Quartier Pregassona in Lugano aufwerten. Das Nachbarschaftsprojekt bringt die Quartierbewohnenden im sozial stark durchmischten Pregassona zusammen und bietet ihnen ein attraktives Freizeitangebot. Im «Centro Amélie» bieten Freiwillige und Fachleute Italienisch-, Computer- oder Yogakurse und viele sportliche Aktivitäten an.
Beispiel 3: Les Jardinières participatives d’Attalens
Der Verein UNIS-SON zielt darauf ab, die Einsamkeit zu durchbrechen. Beim gemeinsamen Jäten, Pflanzen und Ernten entsteht ein respektvoller und entspannter Austausch – über alle Kulturen und Generationen hinweg. Les Jardinières participatives d’Attalens schafft eine solidarische und auf gegenseitige Unterstützung basierende Gemeinschaft. Alle, die mitmachen möchten, werden ins Projekt eingebunden und können mitentscheiden.
Ausblick
Caring Communities können eine Antwort auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wie den demografischen Wandel, die Individualisierung oder den Wandel der sozialstaatlichen Strukturen darstellen. Ein konkretes Beispiel: Der zunehmende Bedarf an Unterstützungs-, Betreuungs- und Pflegearbeit steht einem nicht ausreichendem Angebot gegenüber. Diese Lücke hat sich seit der Corona-Pandemie noch vergrössert und ist bei der Betreuung älterer Menschen besonders gross. Der Druck auf Mütter und Väter, pflegende Angehörige, Pflegekräfte oder Erzieher*innen hat weiter zugenommen.6 Caring Communities können Abhilfe schaffen, indem sie Orte des Zusammenlebens innerhalb einer eng miteinander verbundenen Gruppe bieten und gezielt Familie, Freunde und Nachbarschaft in die Organisation der Sorge einbeziehen.7 Zudem ist eine enge Verzahnung von professionellen Dienstleistungen und freiwilligen Unterstützungsangebote wichtig.8 Sorgende Gemeinschaften entstehen in Gemeinden oder Quartieren, in denen Kooperation stärker gewichtet wird als Konkurrenz und die Gemeinschaft stärker im Vordergrund steht als das einzelne Individuum. Gleichzeitig braucht es Begegnungsräume und Menschen, die Beteiligungsprozesse anstossen und moderieren.9
Netzwerk Caring Communities Schweiz
Das Netzwerk unterstützt und stärkt niederschwellig die Entwicklung von sorgenden Gemeinschaften. Es wurde 2018 lanciert und bietet Plattformen, die den Dialog auf Augenhöhe zwischen Akteurinnen und Akteuren von Caring Communities ermöglichen. Das Anliegen: Sorgende Gemeinschaften aus allen Lebensbereichen zu unterstützen, sie sichtbar zu machen und miteinander zu vernetzen.
Mehr unter: www.caringcommunities.ch
Referenzen
1 Webseite Caring Communities Schweiz
3 Gastbeitrag Robert Sempach auf Intergeneration
4 Bausteine Sorgende Gemeinschaft: 058047_8eaf3bb6073d47b78a23436ca5d78cda.pdf (sorgendegemeinschaft.net)
5 Infobroschüre, Netzwerk Caring Communities Schweiz, URL: https://caringcommunities.ch/upload/media/default/633/booklet_caringcommunities_A5_DE_rz_ds_web.pdf; Broschüre kann auch bestellt werden: https://www.caringcommunities.ch/wissen/shop/
6 Uphoff, A. und Zängl, P. (2023). Caring Communities – ein bedeutsames Tätigkeitsfeld für die Soziale Arbeit. In: Sempach, R., Steinebach, C., Zängl, P. (Hrsg.), Care schafft Community – Community schafft Care, Springer.
7 Zängl, Peter (2020). Caring Community – eine begriffliche Annäherung an ein (noch) unbestimmtes Phänomen
8 Klein, L. (2018). Caring Communities – Vom Leitbild zu Handlungsansätzen. In: M. Vilain & S. Wegner (Hrsg.), Crowds, Movements and Communities?! Potenziale und Herausforderungen des Managements in Netzwerken (S. 44), Baden-Baden: Nomos.
9 Sempach, R. und Steinebach, C. (2023). Die Gruppe als sorgende Gemeinschaft: Grundlagen, Wirkungen und Entwicklungschancen in Zeiten der Pandemie. In: Sempach, R., Steinebach, C., Zängl, P. (Hrsg.), Care schafft Community – Community schafft Care, Springer.
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