Die re:publica, Europas führendes Festival für die digitale Gesellschaft in Berlin, hat wieder einmal die Bühne für visionäre Ideen und tiefgreifende Diskussionen bereitet. Unter dem Motto «Who cares?» wurden bei dieser 17. Ausgabe drängende, gesellschaftliche Fragestellungen unserer Zeit diskutiert und beleuchtet.
Über 800 Programmpunkte und eine beeindruckende Vielfalt von 1615 Redner*innen boten ein wahres Feuerwerk an inspirierenden Impulsen und Reflexion. Erstmalig fand in diesem Jahr ein «Schweizer Fenster» statt, das nicht nur einen Botschaftsempfang und regen Austausch ermöglichte, sondern auch Beiträge von Schweizer Akteur*innen ins Rampenlicht rückte. Mit einer ausverkauften Konferenz, die 30'000 Teilnehmende anzog, setzte die re:publica erneut Massstäbe.
Dieser Beitrag hebt zehn herausragende Referent*innen hervor, deren Vorträge mich während der drei Tage an der Konferenz besonders beeindruckt haben und deren Ideen mich nachhaltig inspiriert haben.
#1 Jagoda Marinić - Sanfte Radikalität
Jagoda Marinić, eine renommierte Autorin und Aktivistin, erläutert in ihrem Vortrag das Konzept der „sanften Radikalität“. Sie argumentiert, dass tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen durch kontinuierliches, engagiertes Handeln und nicht durch Gewalt erreicht werden sollten. Marinić fordert, bestehende Machtstrukturen kritisch zu hinterfragen und eine Kultur des Mitgefühls und der Gerechtigkeit zu fördern. Sie hebt hervor, dass durch sanfte, aber entschlossene Massnahmen eine inklusive und gerechte Gesellschaft geschaffen werden kann, die auf Respekt und Anerkennung für alle basiert. Marinić betont die Bedeutung von Dialog und Zusammenarbeit, um nachhaltige Veränderungen zu erzielen.
#2 Teresa Bücker - Zeitgerechtigkeit ist keine Utopie
Teresa Bücker, Expertin für Arbeitszeitpolitik, fordert in ihrem Vortrag „Zeitgerechtigkeit“ als Schlüssel zu einer inklusiven und nachhaltigen Gesellschaft. Sie argumentiert, dass eine gerechte Verteilung von Zeit essenziell ist, um individuelle Lebensqualität und gesellschaftliche Produktivität zu steigern. Bücker plädiert für flexible Arbeitszeitmodelle, die den Bedürfnissen der Menschen entsprechen und soziale Ungleichheiten reduzieren. Sie betont, dass Zeitgerechtigkeit realisierbar ist und fordert einen tiefgreifenden Wandel in der Arbeitskultur hin zu mehr Flexibilität und individueller Freiheit.
#3 Bernhard Pörksen - Aufmerksamkeitscrash. Kurzfristiges und langfristiges Denken
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler, analysiert in seinem Vortrag den „Aufmerksamkeitscrash“ und die Spannung zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken in der heutigen Medienlandschaft. Er kritisiert die schnelle, oberflächliche Medienkultur, die tiefgründige Reflexion behindert und langfristige Perspektiven vernachlässigt. Pörksen fordert ein Umdenken hin zu nachhaltiger Kommunikation, die langfristige Perspektiven integriert und die gesellschaftliche Resilienz fördert. Er betont, dass die Medienverantwortung und das Bewusstsein der Rezipient*innen gestärkt werden müssen, um eine fundierte öffentliche Meinungsbildung zu gewährleisten.
#4 Maja Göpel - Lost in Ego-Fixation
Maja Göpel, Transformationsforscherin, kritisiert in ihrem Vortrag die egozentrierte Fixierung moderner Gesellschaften. Sie argumentiert, dass diese Selbstbezogenheit zu sozialer und ökologischer Destabilisierung führt. Göpel fordert eine Neuausrichtung hin zu kollektiven Werten und nachhaltigem Handeln. Sie betont, dass das Überwinden des Egoismus und das Fördern von Gemeinschaftssinn und Verantwortungsbewusstsein essenziell sind, um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften zu sichern. Göpel hebt hervor, dass nur durch kooperative und umweltbewusste Praktiken eine stabile und gerechte Gesellschaft erreicht werden kann.
#5 Emilia Roig - A Paradigm Shift from Capital to Love
Emilia Roig, Gründerin des Center for Intersectional Justice, spricht über die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels von Kapital zu Liebe. Sie fordert eine radikale Neuausrichtung der Gesellschaft hin zu mehr Empathie und Gerechtigkeit. Roig kritisiert die kapitalistischen Strukturen, die soziale Ungleichheiten und Ausbeutung fördern, und betont die Bedeutung von Mitgefühl und Solidarität. Sie argumentiert, dass durch die Überwindung kapitalistischer Normen und die Förderung sozialer Beziehungen auf der Grundlage von Liebe und Gerechtigkeit echte soziale Gerechtigkeit und nachhaltiger Frieden erreicht werden können.
#6 Matthias Spielkamp - KI wird uns alle retten! Es sei denn, sie tut es nicht.
Matthias Spielkamp, Experte für digitale Ethik, diskutiert die Ambivalenz von Künstlicher Intelligenz (KI) in seinem Vortrag. Er beleuchtet die Chancen und Risiken, die KI für die Gesellschaft birgt, und betont die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen und ethischen Einsatzes dieser Technologie. Spielkamp warnt vor den Gefahren sozialer Ungleichheiten und fordert klare Richtlinien und eine kritische Auseinandersetzung mit KI, um das Gemeinwohl zu fördern und sicherzustellen, dass KI zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beiträgt, anstatt neue zu schaffen.
#7 Raul Krauthausen - Wie sähe ein kultureller Wendepunkt für echte Inklusion aus?
Raul Krauthausen, ein prominenter Inklusionsaktivist, diskutiert die notwendigen Schritte für einen kulturellen Wendepunkt hin zu echter Inklusion. Er argumentiert, dass bauliche Barrierefreiheit nicht ausreicht und fordert einen umfassenden Bewusstseinswandel in der Gesellschaft. Krauthausen betont, dass Inklusion eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die tiefgreifende strukturelle Veränderungen und das Überwinden von Vorurteilen erfordert. Er plädiert für eine Kultur der Wertschätzung und Akzeptanz, die soziale Teilhabe und Anerkennung für Menschen mit Behinderungen ermöglicht.
#8 Stop Hate Speech: Strategien für eine Kommunikation frei von Hass und virtueller Gewalt
In diesem Vortrag diskutieren Sophie Achermann (Geschäftsführerin Public Discourse Foundation), Laura Bronner (Wissenschaftliche Leitung Public Discourse Foundation) und Anna-Lena von Hodenberg (Geschäftsführerin, HateAid gGmbH) über Herausforderungen und Lösungsansätze im Umgang mit Hassrede im Internet. Moderiert von Nikki Böhler, stellen die Vertreterinnen von HateAid und der Schweizer Public Discourse Foundation konkrete Erfolge vor und geben einen wissenschaftlichen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Hassrede und deren Auswirkungen auf Online-Debatten.
#9 Steffen Mau - Wie polarisiert ist unsere Gesellschaft?
Steffen Mau, Soziologe, untersucht die zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft. Er analysiert die Ursachen und Auswirkungen sozialer Spaltungen und betont die Rolle von Medien und politischen Diskursen bei der Verschärfung dieser Polarisierung. Mau fordert eine differenzierte Auseinandersetzung mit sozialen Ungleichheiten und die Förderung eines inklusiven Dialogs, um gesellschaftliche Kohäsion wiederherzustellen. Er hebt hervor, dass die Überwindung von Polarisierung essenziell für eine stabile und gerechte Gesellschaft ist.
#10 Andreas Meinlschmidt - Wie Kommunen mit Beteiligung mehr Menschen erreichen können
Andreas Meinlschmidt erläutert in seinem Vortrag, wie Kommunen durch verstärkte Bürger*innenbeteiligung mehr Menschen erreichen können. Er betont die Bedeutung transparenter und inklusiver Prozesse, die es den Bürger*innen ermöglichen, aktiv an kommunalen Entscheidungen teilzuhaben. Meinlschmidt stellt erfolgreiche Beispiele vor, bei denen partizipative Methoden zur Steigerung des gesellschaftlichen Engagements führten. Er fordert eine Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Bevölkerung, um das Vertrauen in kommunale Strukturen zu stärken und die Demokratie auf lokaler Ebene zu fördern.
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